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Alt 17.10.2005, 14:12   #2
Meike Lalowski
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Meike Lalowski befindet sich auf einem aufstrebenden Ast
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Liebe Dagmar, du kennst meine Einschätzung: die „Krankheit“ Krebs ist nichts weiter als ein Bild für das nicht gesehene Kind, das sich, um endlich (!!!) gesehen zu werden, massiv über den Körper ausdrückt (Teekesselchen!).

Welch Bild: da inszenieren wir uns als bösartig (Teekesselchen!!), wir riskieren Tod und Teufel, rufen zur Steigerung einen bitteren Krieg aus mit Chemiekeulen und Strahlenwaffen, alles ohne Garantie auf Sieg (und totaler Unklarheit, welchen Gewinner wir wirklich wollen), nur um gesehen zu werden …

Genauer: um so gesehen zu werden, wie Kinder es sehnsuchtstechnisch bräuchten: bedingungslos geliebt, aber klar erzogen, ernsthaft begleitet, liebevoll getröstet, gelassen entschärft, vertrauensvoll in die eigenen Stärken entlassen uswusw. hehre Worte, die irgendwie schlichtweg zum Kotzen sind, weil: wo gibt es denn das!?: eben: wirklich wahrgenommen werden …!?

Nicht in dieser Welt. Denn Eltern sind in der Regel nichts anderes als bedürftige und unbewusste Scheinerwachsene, die genau ihren Schmerz über ihr Verlassensein unbekümmert aber kummervoll an die Kinder weiterreichen – in einem berühmten dicken Buch liest es sich dann als Erbsünde.

Kinder können nicht anders als versagen, denn genau das ist die Antwort auf die sich versagenden Eltern. Und versagen (klammheimlich oder offen) hat eben nicht nur Scham und Schuld im Gepäck (der Fall aus dem Paradies), sondern auch andere eklige Gefühle: Wut, Trostlosigkeit, Einsamkeit, SehnSucht – beliebiges tralala - Angst eben. Alles nicht auszuhalten. Und so werden wir Experten in Schmerzvermeidung mit gleichzeitiger Schmerz-Sehn-Sucht. Wir werden Experten in Sicherheitssystemen. Wir werden perfekte Scheinerwachsene oder aber eben perfekte Verweigerer (ist übrigens nicht nur dasselbe, sondern auch beliebt in Mischformen). Wir installieren unsere Macht auf Leben und Tod, denn unser Vertrauen auf erwachsene oder gar weise Strukturen ist mehr als im Eimer: wenn unsere Eltern schon sich selbst nicht aushalten, wie sollen sie dann uns halten? Und da kommt unser ganz große Auftritt, mit dem wir verzweifelt versuchen, die Liebe zu retten: na, dann müssen wir doch mal die Eltern halten. Das ist übrigens ein Vertrag (ein Versprechen!), der den Vertragsbruch (Versagen!) perfekt als selbsterfüllende Eigensabotage in sich trägt. Und damit er nicht in Vergessenheit gerät, insznieren wir ihn unbewußt aber wirkungsvoll ein Leben lang mit projezierten Ersatzeltern weiter, bis es eben nicht mehr geht, weil der Schmerz zu groß wird oder sich glücklicherweise dieser oder jener Krebsgang zeigt.

Und was ist das Verrückte an diesem Überlebenskampf des inneren Kindes? Wir wünschen uns nichts mehr als ihn zu verlieren. So provoziert es ohne Ende um Gehör und Gewahrsam, denn wir wünschen uns nichts mehr als endlich eine erwachsene und weise Begleitung zu sein für die Geschichten der inneren Kinder, die doch längst nichts anderes mehr sind als machtvolle Geister in unseren Köpfen. Und genau da ist auch die Antwort. In der Welt gibt es diese Eltern nicht, aber in unserem Bewusstsein. Nur in unserem Bewusstsein.

Also, liebe Dagmar, lass deine Kleine endlich die geballte Faust offen schwingen, gib ihren Geschichten Raum und Zeit, sei beharrlich und mutig und last but not least: stark genug, Dich in die wirklichen Gefühle fallen zu lassen! Dann wird die geballte Faust sich öffnen in die ersehnte Hingabe an das Leben wie es ist. Dein wunderbar bös-artiges Kind steht vor der Tür. Öffne sie ganz!


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Meike Lalowski



[This message has been edited by Meike Lalowski (edited 17 October 2005).]
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