Liebe Kasa,
ich weiß nicht, ob meine Zeilen die richtigen für Dich sind, denn es ist meine Geschichte.
Wenn sie etwas trösten können, Dir Anteilnahme zeigen und Dir das Gefühl nehmen, als alleinige Person die momentanen Gefühle aushalten zu müssen, habe ich mein Ziel erreicht.
Dieser Satz von Dir:
„Habe vorhin Anruf erhalten. Meine Freundin hat sich das Leben genommen. Liebe Grüße.“
Hat mir fast den Atem genommen. Ich bin in mein Zimmer gegangen und hielt die Flasche 7 (Garten Gethsemane) in der Hand und wusste auf einmal, warum ich sie zuerst nicht haben wollte und erkannte welch traurige Geschichte sie mir in Erinnerung rufen wollte. Ich erhielt den Anruf von der Mutter eines Menschen, den ich sehr geliebt habe: "Mein Sohn ist tot, er lebt nicht mehr." Nur dieser eine Satz. Dann das Staunen, ist das nun real? Wieso singen die Vögel, als sei nichts gewesen, wieso lärmen und lachen die Kinder voller Fröhlichkeit, wieso scheint die Sonne weiterhin? Seit dem Tag, und es ist inzwischen viele Jahre her, habe ich ein großes SCHULDIG-Schild mit mir herumgetragen. Nicht (rechtzeitig) da gewesen zu sein, nicht genug Verständnis gezeigt zu haben, nicht genug Freund gewesen zu sein.. und und und. Um mit Karin’s Worten zu sprechen: Aus der Schusslinie hat er mich rechtzeitig herausgeholt (um mich zu schützen, sagt sein Vater), den Schuß hat er gegen sich selbst gerichtet, nur das Trümmerfeld, das nach einer Schlacht, jedem Kampf übrig bleibt, hat er mir nicht ersparen können. Jeder Elternteil fühlt(e ) sich schuldig und sprach dem anderen Schuld zu, die Wut der Geschwister… die ewige Frage nach dem Warum.
Erst seit noch nicht allzu langer Zeit konnte bei mir Heilung stattfinden. Mir hat Familienstellen geholfen (mit einer ordentlichen Nachbetreuung, denn ich bin in ein ganz schönes Loch gefallen, - daher finde ich deinen Ansatz gut, dir professionelle Hilfe zu suchen - aber nicht nach Bert-Hellinger. (Vielleicht mache ich noch ein Topic auf zu dem Thema, aber das gehört nicht hierher, um klarzustellen, warum ich das so betone) Denn mit Hilfe dieser Aufstellung konnte ich die innere Zerrissenheit und tiefe Hoffnungslosigkeit desjenigen sehen, die dem Selbstmord vorausgegangen war. Und ich spürte die Liebe zu mir – und es wurde mir auch gesagt, dass ich mit dem Selbstmord nichts zu tun habe, sondern er froh war, dass es mich gab. Seitdem habe ich mehr Luft zum Atmen. Und ich konnte danach in die Wut gehen. Jahrelang habe ich nicht zugeben können, dass ich wütend auf ihn war. Aber die Wut wollte gehen – und ich habe sie ihm um die Ohren gehauen. Immer noch einmal. Danach ging es mir besser, ihm auch denke ich, wenn wir davon ausgehen, dass die energetische Verbindung auch nach dem Tod bleibt. Und ich konnte in die Trauer gehen. Habe Tränen geweint, von denen ich gar nicht mehr dachte, dass sie noch in den Mengen vorhanden waren. Jetzt hat die Liebe wieder ihren Raum. Gereinigt, wenn man so will. Und wenn er sich zeigen möchte, zeigt er sich - und es ist gut so.
Herzlichst
Iris
|